Sonntag, 9. März 2008

Der dunkle Wanderer, Vitagen 2

Vitagen lag am 24. September des Jahres 2007 gefesselt in einer dunklen Ecke und in seinem Mundraum schmerzte es gar fürchterlich, doch konnte er sich das nicht erklären.
Er konnte sich überhaupt nichts erklären und hielt seine Augen hysterisch verschlossen bis er von unzähligen starken Händen gepackt, geschüttelt und auch gerüttelt wurde. Die Fessel war gelöst und Vitagen fiel jämmerlich zu Boden. Man trat ihn in der Seite, er konnte die Anwesenden nicht erkennen, doch fühlte er den Schmerz. „Aufstehen, an die Arbeit!“, keifte eine schrille Stimme. Mühsam lies er das Licht in sich scheinen und erkannte eine groteske Erscheinung seines hoheitlichen Wahnes. Doch ehe er ein Wort stammeln konnte ward er aufgerichtet. Vor ihm stellte man einen Birnkreis auf, der im Durchmesser knapp zwei Meter betrug. „Da hinein“, schrie man ihn an und schon wurde er in den Kreis gesetzt. Und die Erscheinung verschwand.

Vitagen setzte sich und erbrach sich. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an das morgendliche Licht, doch war dies, welches er erblicken konnte, gar nicht von natürlicher Hässlichkeit gezeichnet, es war garstig brav, industriellhübsch und plastikwunderbar, so dass er aufs Neue geben musste. Er wusste nicht, was er zu essen bekommen, doch schien es eine Öffnung in den Boden zu brennen. Er warf den Blick hinunter, der alsbald zurück geworfen wurde: Tief unten saß eine bläulich-schmutzige Gestalt, die aufgrund der plötzlichen Aufmerksamkeit scheu aus dem Bild sprang. „Huhu!“, rief Vitagen herunter. „Huhu, kleine Gestalt! Was magst du sein, komm zeige dich, ich will einen Blick auf deine Fratze wagen!“

Zunächst starb alles weiter in der Stille, doch dann hörte Vitagen eine Antwort wie ein fernes Echo von den Wänden schallen: „Hüha, hähu, hihö, höhuhä!“ Und dann ward Licht in dem Tunnel unter ihm und er erblickte allerlei zarte Natur, so zierlich schön dass sich seine Augen feucht färbten. Und ganz hinten, im fernsten Winkel, den er gerade noch erblicken konnte, da saß der dunkle Wanderer an einem kleinen Feuerchen und lachte freundlich herüber und winkte, dass der arme Vitagen nur so verging. „Ich komme herab! Ich komme herab! So warte nur!“, so rief er und wollte sich in das Loch schwingen, doch da war es schon entschwunden, der Augenblick war vorbei, der Moment vertan, Vitagen verkroch sind in bittrer Indifferenz. „Ach, könnte ich nur dem Menschen helfen! Doch liegt’s wohl nicht in meiner Macht, sterben muss er, sterben.“ Bei diesen Worten packte man ihn, riss ihm die Arme auf und hing ihn an den Galgen. Der Plastikschemel unter ihm schwankte bedrohlich, doch wurde er zudem angestoßen. Immer und immer wieder, nach gleicher Art und Methode, bis er nahezu irrsinnig war. Erst dann schimpfte man ihn aus, hieß ihn faul und einen Lump und zückte auch die Peitsche. „Nichts gearbeitet hat er, dabei hab ich von ihm erwartet, aus dem Kreis ein Viereck zu legen, aber er bringt ja nichts zu stande, der Unhold, unnütz und eine Last, ja, das ist er!“ Der Plastikschemel wurde weggetreten und Vitagen sank röchelnd in die Schlinge. Der Atem wurde unmöglich, der Schweiß der letzten Anstrengung verdampfte und alsbald hing er leblos da, sein Geist verließ den vergangenen Körper, und schwand durch die Öffnung im Boden, die just wieder aufging, schwebte nach unten, wurde zärtlich von einem verwegen schönen Baume aufgenommen und der Birnkreis fing Feuer.

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