Montag, 10. März 2008

Apparat

Plumps, plumps. Zu doof! Schon wieder ist mir der Ball mit dem eingestickten „Z“ heruntergefallen! Und der mit dem „G“ gleich dazu, so macht das einfach keinen Spaß! Missmutig hebe ich die drei bunten Lederbälle wieder auf und übe mich erneut im Jonglieren. Keine schwere Kunst, aber grundlegend: Es wird geworfen und gefangen – oder auch nicht. Ich versuche mich zu konzentrieren. Und wieder fällt ein Ball, der mit dem „G“. Meine Umgebung scheint einfach nicht zum Jonglieren geeignet zu sein: Überall Antennen, Schutt, Scherben, Kabel, Röhren und Beton. Und fern am Horizont, da schweben grüne Giftwolken, die kommen dort aus den großen dunklen Schornsteinen. Es sind aber nicht die einzigen Schornsteine, es gibt hier ja viele davon. Die Schornsteine gehören zum Apparat. Der Apparat, das sind die mächtigen Gebäude hier. In den Gebäuden sind endlose Hallen. Und in den Hallen sind die Zylinder. Wozu die sind? Das weiß ich nicht, mein Schöpfer hat's mir nicht gesagt. Ich denke, das geht mich auch nichts an. Ich bin nur hier, um zu spielen. Also hör endlich auf, mich mit solchen Fragen zu stören! Ich muss jonglieren! Ich muss mich aufs Fangen konzentrieren! Wenn ich die Bälle nicht fangen kann, dann wird nichts aus mir, das hat mir der Schöpfer gesagt. Also, ich jongliere jetzt weiter! Und schon wieder ist mir der G-Ball runtergefallen! Es ist aber auch zu schwierig, die Gedanken bei diesem Lärm beständig auf die Bälle zu richten! Überall zischt und faucht's – und entfernt ertönt dieses dumpfe Grollen. Und dann dieser schrille Pfeifton, der sich in mein Ohr gefressen hat, mich nicht mehr los lässt – es ist zu schrecklich! Aber es ist ja überall so und eigentlich möchte ich mich auch nicht beschweren, ich möchte nur die Bälle werfen und fangen. Mein Schöpfer ist auf einer langen Reise, er kommt nie mehr zurück. Da will ich ihn nicht enttäuschen – und vielleicht ist das ja die Lösung, vielleicht kommt er ja wieder zurück, wenn ich nur alles richtig mache! Aber ich glaube eigentlich nicht daran. Seit wann mein Schöpfer weg ist? Das weiß ich nicht, es ist lange her. Glaube ich. Es war komisch, ich wachte auf und er war weg. Ich durchsuchte die ganze Umgebung hier, schnitt mir dabei bös' die Finger blutig, stolperte oft und fiel in ätzende Giftpfützen und einmal fiel mir sogar meine bunte Brille vom Kopf und ich hab' sie fast nicht mehr gefunden! Das war vielleicht ein Schock für mich, das kannst du mir glauben, aber ich hab sie ja zum Glück wiedergefunden. Seitdem hat sie diesen Kratzer hier, aber wenigstens ist sie nicht kaputt! Es wäre ja auch schlimm - du musst wissen, ohne bunte Brille sehe ich keine Farben. Aber lass mich weiter erzählen! Also, irgendwann, es war schon sehr spät, da kam ich dann schließlich wieder zurück. Und niemand war da, kein Schöpfer. Ich war natürlich ganz verzweifelt und heulte und machte den Boden dabei ganz furchtbar naß - doch dann stand plötzlich der graue Alte mit dem blitzenden Hut hinter mir und erzählte mir von der Reise des Schöpfers. Er wollte, dass ich mit ihm komme, aber ich wollte nicht, ich hatte Angst - du musst wissen, der Alte mit dem blitzenden Hut hat kein Gesicht. Und er ist schon lange hinter mir her. Warum, weiß ich nicht. Ich will es auch nicht wissen, also hör auf mir solche Fragen zu stellen! Ich weiß auch nicht, wer er ist - sein Kleid ist unnatürlich rein, seine Worte fallen bitter über einen! Ich bin weggelaufen. Habe mich versteckt. Hinter dicken undichten Rohren, aus denen übler schwarzer Dampf quoll. Ich musste schrecklich husten und hatte Angst, er könnte es hören. Aber er fand mich nicht. Und seitdem hab' ich ihn nie wieder gesehen. Ich möchte ihn nie wieder sehen, ich muss frei sein! Muss jonglieren, das hat der Schöpfer gesagt. Immerzu jonglieren. Also lass mich.


Ach! Musst du mich denn schon wieder stören? Jetzt sind mir schon wieder die Bälle zusammen gestoßen und heruntergefallen. Was willst du - du sagst, du hast es eben ganz in der Nähe blitzen sehen? Ja? Nun, das geschieht hier ganz oft. Und bewegen tut sich auch andauernd etwas. Das sind die Maschinen. Die gehören zum Apparat. Und der Apparat gehört – das hab ich dir schon erzählt? Seltsam. Ich kann mich gar nicht daran erinnern - aber nun gut, lass mich! Weißt du, ich muss jonglieren. Und – was ist das, was packt mich da? --- oh nein, es ist der Alte! So hilf mir! Er tut mir schrecklich weh, hat die Faust in meinem Haar - er schleift mich fort! Und dort hinten sind meine bunten Bälle, ich darf sie doch nicht zurück lassen, werd' sie doch nie wieder finden! So hilf mir doch - warum hilft mir keiner? Warum kann mir keiner helfen? Der Alte mit dem blitzenden Hut zerrt mich in den Apparat, stößt mich gnadenlos durch die Hallen --- endlos! Es ist so dunkel hier drin, ich kann kaum etwas erkennen. Er drückt mich grob gegen die Wand, schlägt mir ins Gesicht - oh nein, meine bunte Brille verbiegt sich, ein derber Schlag durchwirbelt meine Gedanken und ich höre die Brille entfernt aufschlagen und zerbrechen! Aber ich brauch sie doch! Er schlägt mir in den Bauch, ich bekomme keine Luft. Tränen schießen mir in die Augen, es tut so weh! Ich krümme mich und sinke auf den schmutzigen Boden. Überall Scherben - Blut in meinem Mund, an meinen Händen. Ich höre, wie eine schweres Schloss entriegelt wird, eine schwere Tür schwingt auf, prallt donnernd gegen die kalte Betonwand. Und ich höre den Alten: „Es ist soweit.“ Unheimlich hallt die böse Stimme durch die Dunkelheit, nur spärlich erhellt nebeliges Licht seine Gestalt. Er packt mich, hebt mich mühelos auf, wirft mich durch die Tür - hinein in den Zylinder! Ich schreie vor Angst, schlage auf, etwas bricht. Das letzte, was ich sehe, ist die verschwommene Gestalt des Alten in der Tür – er hebt langsam den Arm, kitzelt sich unter der rechten Achsel und bricht dann in ein hässliches Gelächter aus. Die Erscheinung schwindet, die Tür schlägt zu. Riegel rasten ein, mit Getöse läuft die Maschine an: Flammen dringen in die Kammer - meine Haut wirft Blasen, ich fange Feuer, brenne, schreie, sterbe.


Schwarze Asche wirbelt aus den Schornsteinen, die Landschaft bebt, die Industrie zittert. Überall bilden sich Risse unter ewiger Spannung – dann Explosion, der erschrockene Schrei des Alten, ein Atompilz streichelt die Sonne. Ich weiß nicht, ob sie lacht oder weint.

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