Sonntag, 15. Juni 2008

Der modern modernde Blutzeuge

Dies ist die kleine tolle Geschichte von Herr M. Herr M war eine sehr träge Persönlichkeit. Er schnitt sich mit seiner Teilnahmslosigkeit fortwährend ins eigene Fettgewebe. Das wurde ihm mit großer Geschwindigkeit gewahr. Dennoch konnte er es nicht vermeiden. Und da er es nicht verhüten konnte, begann er, daran Spaß zu haben. Viel Faszination sogar. Er setzte sich regelmäßig, tatsächlich täglich an seinen Schreibtisch, direkt vor seinen Bildschirm, der war sein Opfertisch und starrte sorglos in das lustvolle Geflimmer. Mehr tat Herr M nicht. Jeden Tag, viele Stunden. Eine unbestimmte kleine Menge von Zeit verbrachte er natürlich auch mit dem Aufnehmen von ess- und trinkbaren Stoffen, die Lebewesen zu sich nehmen, um den Organismus aufzubauen und gesund zu halten. Und nachts mit einem Zustand der Ruhe. Ja, den hatte er nötig! Denn es fiel ihm zunehmend schwerer, den ideologischen Blick eine große unbestimmte Anzahl von Zeiteinheiten, die jeweils dem 24. Teil eines Tages entsprechen, zwischen Mitternacht und Mitternacht konstant zu halten. Aber Herr M entwickelte eine industrielle Disziplin. Schließlich versetzte er sich in die Schaltstufe, sich den Unernst einzureden. Als auch das nichts mehr half, schnürte er sich ganz fest an seinen Stuhl. Als auch dies nichts mehr half, kettete er auch noch das Sitzmöbelstück, meist mit vier hohen Beinen, Rückenlehne und evtl. Armlehnen, an den Schreibtisch. Als auch das nichts mehr half, fädelte er auch noch das Anzeigegerät an den Tisch zum Schreiben, meist mit Schubfach und Schubfächern zur Aufbewahrung von Schreibmaterialien und Akten. Als auch dies nichts mehr half, begann er sich bei jedem Abwenden des Blickes mit einem Brusteinschnitt zu maßregeln. Als auch das nichts mehr half und die Brust schon ganz verschnitten war, verschnitt er auch noch die Arme. Als auch dies nichts mehr half und die Brust und die Arme schon vollkommen eingefeilt waren, feilte er auch noch die Beine ein. Als auch das nichts mehr half, kerbte er neben den bereits eingekerbten Körperteilen noch mehr Körperteile ein. Kurze Zeit danach waren auch die verritzt. Schließlich zog er die Nägel von den Fingern. Als er keine Nägel mehr an den beweglichen Gliedern der Hände vorfinden konnte, widmete er sich den Nägeln der beweglichen Glieder der Füße. Als er an Fingern und Zehen keine Horngebilde, bestehend aus mehreren übereinander geschichteten Keratinplatten an Fingern und Fußzehen, mehr vorfinden konnte, zog er die Zehen von den Füßen. Als er an der Standvorrichtung zehenlos war, zog er die Finger von den Greifwerkzeugen. Das funktionierte nur an einem Greifarm. Aber Herr M verhielt sich sachgemäß. Er zerstückelte die verbliebenen Fingerglieder zu kleinen öffnungsgerechten Teilen. Die Schneidewerkzeuge verwarf er alsbald an der Platte. Doch immernoch wollte sich kein Wohlgefallen konfigurieren. Vor Frustration versuchte Herr M schließlich das Denkzentrum an der Gedenktafel zu löschen. Da dies aber nur eine weitere und ideale Ohnmacht ergab, Herr M sich nicht mehr von seinem Standort erlösen konnte und er keine echten Freunde hatte, verhungerte er.